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Gemeinsames Kochen für mehr Gesundheit und Teilhabe

Viele Menschen mit Demenz essen zu wenig oder so einseitig, dass Angehörige sich um deren Gesundheit sorgen. Eine Möglichkeit, Abhilfe zu schaffen, ist gemeinsames Kochen und Essen. Im Wismarer Kochclub TiL passiert genau das.

Auf dem Plan stehen häufig Gerichte aus der mediterranen Küche. Dass einige demenzbetroffene Teilnehmende erst wieder lernen müssen, Gemüse zu schnippeln, ist in diesem besonderen Kochclub kein Ärgernis. Denn gerade hier können demenziell Erkrankte und ihre Angehörigen außer Haus und in Gesellschaft essen, ohne schiefe Blicke zu ernten. Dazu trägt auch der entspannte Umgang mit den besonderen Eigenheiten mancher Mitköche bei: „Ein Teilnehmer räumt zum Beispiel immer gern den Tisch ab und trägt Dinge in die Küche zurück, die eigentlich noch benötigt werden. Aber das ist kein Problem, wir holen es zurück“, berichtet Britta Lindow. Die heute 82-Jährige hat den Club 2019 gegründet. Er gehört seitdem fest zum Angebot der Alzheimer-Gesellschaft in Wismar.

Gemeinsam Erleben und Erinnern

Einmal im Monat wird im Städtischen Bürgertreff gemeinsam gekocht. Dabei ist die Mahlzeit mindestens genauso wichtig wie die gute Laune, das Erleben und Sich-Erinnern mit Anderen. Im Gedächtnis bleiben Geschichten wie die eines ehemaligen, inzwischen dementen Schiffskochs. Er rief angesichts eines viel zu scharfen thailändisches Linsencurry aus: „Dafür hätten sie mich aber vom Schiff gejagt“. An dieses Linsencurry habe er sich noch Monate später erinnern können, berichtet Lindow. Für das gemeinsame Essen, dem Höhepunkt des Abends, deckt die Gruppe gemeinsam den Tisch. Für die Menschen mit Demenz gibt es Teller mit einem einfarbigen Rand in blau, mint- oder rosa, damit sie die Speisen leichter erkennen.

Demenzsensible Atmosphäre bei Tisch

„Für gesunde Personen ist es oft schwer nachvollziehbar, dass Speisen erst erkannt werden müssen“, sagt die Neuropsychologin und Demenzexpertin Dr. Sarah Straub. Sie erläutert: „Farben dienen als Hinweisreiz, das Auge schaut automatisch hin; die Betroffenen benötigen keine kognitiven Ressourcen.“ Als einen weiteren Punkt für eine demenzsensible Atmosphäre bei Tisch nennt Straub, die Speisen ansehnlich anzurichten. Wichtig ist auch, eine einfarbige Tischdecke zu verwenden und den Tisch nicht mit Deko zu überfrachten. Im Hintergrund sollte weder das Radio noch der Fernseher laufen, beides lenkt ab und irritiert. Die Angehörigen sollten, so Straub, vielmehr Ruhe ausstrahlen, auch durch ihre Körpersprache und wie sie sich im Raum bewegen. In einer Welt, die für Menschen mit Demenz immer schwieriger zu begreifen wird, ist das Essen eine Möglichkeit, ihnen Genuss und Wohlbefinden zu bereiten. Erschwert wird der Genuss allerdings durch Veränderungen wie etwa das nachlassende Gefühl für Durst, Hunger oder Sättigung, ein verändertes Geschmacksempfinden oder innere Unruhe. Pflegende können darauf so reagieren, dass sie an Demenz erkrankte Angehörige bei der Zubereitung der Gerichte helfen lassen: „Wenn sie zuvor eine halbe Stunde mit in der Küche sind und es duftet, ist es viel leichter, die Betroffenen an den Tisch zu bekommen“, sagt Sarah Straub. Überdies trainieren leichte Tätigkeiten das Gehirn und setzen damit einer Demenzerkrankung etwas entgegen. Die Betroffenen erleben sich als kompetent und haben das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Es gehe beim gemeinsamen Kochen also auch um Teilhabe am normalen Leben.

Geschmackssinn für Süßes bleibt im Alter besonders gut erhalten

Viele Menschen mit Demenz haben verstärkt Lust auf Süßes, sagt Sarah Straub. Der Geschmackssinn für Süßes bleibe im Alter besonders gut erhalten, deshalb genießen Demenzbetroffene das sehr. „Man muss darauf achten, dass süße Speisen trotzdem Nährstoffe enthalten, so dass keine Mangelerscheinungen auftreten.“ Neben der mediterranen Küche sind der Expertin zufolge vertraute Gerichte aus der Kindheit hilfreich. Sie regen – ähnlich wie Musik – Emotionen und Erinnerungen an. „Es hilft den Personen, an ihre eigene Identität anzuknüpfen.“
Um Demenzbetroffene zum Trinken zu animieren, helfe es, kleine Rituale einzubauen, wie etwa einander zuzuprosten. Bei Schluckstörungen rät die Expertin, darauf zu achten, dass die Gerichte nicht viele unterschiedliche Konsistenzen haben. Gut geeignet sind homogene Speisen wie zum Beispiel dickflüssige Suppen.

Essensverweigerer und Vielesser

Trotz aller Bemühungen weigern sich manche Menschen mit Demenz zu essen, etwa weil sie fürchten, vergiftet zu werden. Dies kann der Neuropsychologin zufolge ein Symptom der Erkrankung sein; es sollte ärztlicher Rat eingeholt werden. Andere Betroffene, deren Impulskontrolle außer Kraft gesetzt ist, hören dagegen gar nicht mehr auf zu essen. Das ist der Fall bei der frontotemporalen Demenz, ebenso kommt es bei Alzheimer-Erkrankungen vor. Straub kennt Familien, die den Kühlschrank oder die Küche abschließen müssen. Sie stellen zu den Mahlzeiten nur das auf den Tisch, was gegessen werden soll. Die Angehörigen haben deswegen oft ein schlechtes Gewissen. „Sie müssen erst lernen, mit den eigenen Gefühlen umzugehen.“

 

Von Mirjam Ulrich


„Wohlfühlküche bei Demenz“

Sarah Straub und der TV-Koch Wolfgang Link haben ein Kochbuch geschrieben, dessen Rezepte die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz berücksichtigen und zugleich der ganzen Familie schmecken. Das Buch enthält Gerichte der gutbürgerlichen und der mediterranen Küche, Fingerfood sowie süße, aber gesunde Speisen. Rezepte für genussvolles Essen trotz Schluckstörungen runden das Kochbuch ab.  
Dr. Sarah Straub und Wolfgang Link: „Wohlfühlküche bei Demenz“, Riva Verlag, 176 Seiten, 20 Euro.

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