Schöne Seiten der Pflege
Die Pflege eines Angehörigen ist oft fordernd und kräftezehrend. Doch zwischen Belastung und hoher Verantwortung entstehen auch Nähe, Vertrauen und wertvolle gemeinsame Momente. Pflege kann verbinden und schöne Seiten haben. Zwei pflegende Angehörige berichten.
Anfangs war es für Monika Just nicht leicht, ihre Rolle als pflegende Angehörige für ihre Mutter Erika zu finden. Inzwischen hat sich alles eingespielt. Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter ist sehr harmonisch.
Die 69-jährige Monika Just führt ein selbstbestimmtes Leben. Der Tagesablauf der Unternehmerin mit mehreren Angestellten ist klar strukturiert und getaktet. So war es zumindest bis zum Jahr 2019. Dann veränderte sich vieles. Ihre heute 87-jährige Mutter Erika wurde damals nach einem Sturz und mehreren Krankenhausaufenthalten zunehmend hilfebedürftig. Eine fortschreitende Demenz, Inkontinenz und die Weigerung, regelmäßig die Diabetes-Medikamente einzunehmen, machten die Situation nicht gerade leichter. Monika Just musste sich mehr und mehr um ihre Mutter kümmern.
„Es war ein harter Weg“, sagt die Bremerin rückblickend. Anfangs war sie mit der neuen Rolle als pflegende Angehörige überfordert – emotional erschöpft, innerlich zerrissen zwischen Pflichtgefühl und zu starker Belastung. Trotz professioneller Unterstützung durch einen engagierten Pflegedienst trug sie den größten Teil der Verantwortung.
„Ich habe mich gefragt: Was macht diese Frau mit mir?“, beschreibt sie eine Phase, in der die Beziehung zur Mutter zu kippen drohte. Der Spagat zwischen eigener Belastbarkeit und dem Wunsch, es der Mutter recht zu machen, wurde zur Zerreißprobe. Monika Just, die schon immer sehr eigenständig gelebt hatte, fühlte sich auf einmal eingeengt und überfordert. Sie spricht sogar von einer zeitweise „toxischen Beziehung“.
Grenzen setzen
Doch sie fand den Weg heraus. Mit psychotherapeutischer Begleitung lernte Monika Just, Grenzen zu setzen und auf sich selbst zu achten. „Ich habe verstanden, dass ich auf meine Selbstfürsorge achten muss. Es ist ja gut für sie gesorgt.“ Inzwischen besucht sie ihre Mutter, die ambulant in ihrer Wohnung betreut wird, einmal pro Woche für mehrere Stunden.
Die veränderte Beziehung beschreibt Monika Just so: „Meine Mama ist wie mein Kind geworden.“ Das Verhältnis zu ihren zwei Brüdern hat sich ebenfalls gewandelt: Seitdem sie mit deutlichen Worten darauf hingewiesen hatte, nicht mehr zu können, erhält sie von ihnen Unterstützung. Unter dem Druck der Pflegesituation hat sich das Familiengefüge neu sortiert.
Heute blickt die Bremerin mit mehr Gelassenheit auf ihre Rolle. Sie sieht nicht nur die Belastung, sondern auch die Nähe, die gewachsen ist. „Wir reden zum Beispiel offen über das Sterben“, sagt sie. Zudem habe die Pflege ihrer Mutter sie gelehrt, ihr eigenes Älterwerden bewusster zu betrachten.
„Er bringt mich immer noch zum Lachen“, sagt Heike Streu über ihren 90-jährigen Vater mit dem für einen Mann seltenen Vornamen „Christel“. Er muss nach einem vermuteten Schlaganfall mit Beeinträchtigungen leben.
Wenn Pflege Nähe schafft
Jede Pflegesituation ist individuell und doch ähneln sich die emotionalen Spannungsfelder, in denen sich Angehörige bewegen. Dazu gehören Verantwortung, Erschöpfung und Zweifel. Dazwischen gibt es immer wieder Augenblicke, die berühren, verbinden und stärken. So erlebte es auch Heike Streu aus Syke in Niedersachsen. Die 66-Jährige hatte bereits früh gelernt, was es heißt, sich zu kümmern: Jahrelang pflegte sie, gemeinsam mit ihrem Vater, ihre Mutter, bis diese 2020 starb.
Ihr Vater war lange ein aktiver, kraftvoller Mann gewesen – handwerklich geschickt, im Garten unterwegs und stets engagiert, wenn es um Reparaturen ging. Doch am zweiten Weihnachtsfeiertag 2024 erlitt er, so wird vermutet, einen Schlaganfall. Seitdem ist seine linke Körperhälfte beeinträchtigt. Der heute 90-Jährige ist deutlich geschwächt und auf Unterstützung im Alltag und bei der Körperpflege angewiesen. Für Heike Streu war sofort klar, dass sie sich kümmern würde. Konkret heißt das: Sie fährt jeden Abend zu ihrem Vater, bleibt über Nacht und kehrt nach dem Mittagessen in ihr Zuhause zurück. Tagsüber übernimmt ein Pflegedienst medizinische Aufgaben wie das Anlegen von Kompressionsstrümpfen und die Medikamentengabe.
Wandel und neues Lernen
Anfangs war es schwer, den Vater, ihren „Fels in der Brandung“, so verletzlich zu erleben. Doch Heike Streu ist zuversichtlich und versucht, das Gute zu sehen. Wenn es ihr zu viel wird, geht sie in den Garten, zum durchschnaufen. Vieles löst sich dann auf, und anschließend gelingt es ihr besser, sich in ihren Vater einzufühlen, ihn zu sehen, wie er jetzt ist und sich an den schönen Momenten zu erfreuen, die es immer wieder gibt. „Wir lachen viel, wenn wir über frühere Zeiten sprechen und Erinnerungen austauschen“, berichtet sie. Ihr Vater war nie um einen lockeren Spruch verlegen und bringt auch jetzt noch Leichtigkeit in den Alltag.
„Mein Vater bringt mir noch immer viel bei“
Außerdem lernt sie durch ihn täglich dazu – etwa, wie man ein Zündsystem beim Rasenmäher überprüft oder worauf es bei der Hausverwaltung ankommt. „Mein Vater bringt mir noch immer viel bei und ist eine Bereicherung für mich“, sagt sie. Auch in Glaubensfragen sind Vater und Tochter eng verbunden. Sie sprechen zum Beispiel über das Sterben oder diskutieren die Frage, ob er im Leben das Richtige getan habe – abends, beim gemeinsamen Gebet.
Für Heike Streu haben sich durch die Pflege Prioritäten, Ansprüche und Erwartungen verschoben. „Ich habe erkannt, dass viele Dinge, die ich früher für wichtig gehalten habe, gar nicht so wichtig sind – etwa, ob mein Vater stets ordentlich und sauber angezogen ist. Der Moment ist das, was zählt.“
Von Stella Cornelius-Koch