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Wenn Pflege die Liebe wachsen lässt

Wenn ein geliebter Mensch pflegebedürftig wird, verändert sich meist auch die Zweisamkeit. Aus selbstverständlichem Miteinander können Fürsorge auf der einen und Abhängigkeit auf der anderen Seite entstehen.

Manche Beziehung gerät ins Wanken, wo vorher Nähe war, schleicht sich Distanz ein. Doch es kann auch ganz anders kommen; die Herausforderung lässt die Liebe wachsen. So haben es Nadica und Hubert Greupel erlebt. Das Paar lernte sich vor sieben Jahren kennen. Nadica erinnert sich noch genau: „Es war eine aufrichtige, ehrliche Liebe“. Gemeinsam schmiedeten sie Pläne und waren voller Hoffnung auf ein unbeschwertes Leben zu zweit. 2018 heirateten sie. Die damals 47-jährige und ihr neun Jahre älterer Ehemann waren überzeugt, das Beste noch vor sich zu haben. Doch es kam anders. Hubert Greupel erkrankte an Amyotropher Lateralsklerose (ALS). Zu den Symptomen der bislang unheilbaren ALS zählen fortschreitende Muskelschwäche, Sprechstörungen, Schluckbeschwerden und Lähmungen. Hubert Greupel, der bis dahin aktive und kerngesunde Bauingenieur, büßte seine Bewegungsfähigkeit ein und stürzte häufig. Seit 2024 pflegt Nadica Greupel ihn in der gemeinsamen Wohnung in Würzburg. Keine einfache Aufgabe für die heute 55-Jährige, denn sie selbst leidet unter Rheuma und Herzproblemen und liegt manche Nacht wach in der Sorge, ihrem Mann bei einem Sturz nicht helfen zu können. 

Nele Glöer brauchte Zeit, um ihre neue Lebensrealität als pflegende Angehörige annehmen zu können. Dabei halfen neue und vertraute Rituale, zum Beispiel das Vorlesen und gemeinsame Verreisen.

„Man lässt den anderen nicht allein“

Dennoch empfindet sie die Pflege nicht als Bürde, sondern als Ausdruck von Liebe und Verantwortung. „Ich bin so erzogen worden“, sagt sie. „Man hilft einander. Man lässt den anderen nicht allein.“ Dabei hilft es, dass Hubert Greupel die Hilfe seiner Frau gut annehmen kann. Beide sagen heute, dass ihre Beziehung durch die Krankheit gewachsen und tiefer geworden sei. „Ich hatte früher viele Ängste“, sagt Nadica. „Aber Hubert hat mir immer Halt gegeben. Auch in meinen dunklen Zeiten. Durch Hubert habe ich erfahren, was Liebe wirklich ist“, sagt sie.

Am Anfang war Überforderung

Auch Nele Glöer weiß, was es heißt, eine Last gemeinsam zu tragen. Die 65-jährige Psychologin pflegt seit zehn Jahren ihren Ehemann, der an einer fortschreitenden spastischen Erkrankung leidet. Aus anfänglichen Sprachstörungen wurden tiefgreifende körperliche Einschränkungen. Heute kommuniziert ihr Mann mühsam über ein Tablet und benötigt in fast allen Lebensbereichen Unterstützung. Die ersten Jahre waren die pure Überforderung, was auch daran lag, dass die Kinder noch zu Hause lebten und Nele Glöer sich innerlich gegen die Situation stemmte. Erst als beide Ehepartner – die Glöers sind seit fast 40 Jahren verheiratet – ihre neue Lebensrealität annehmen konnten, stellte sich ihr offener und liebevoller Umgang miteinander wieder ein. Ihre gute Streitkultur war dabei ebenso hilfreich wie vertraute und auch neue Rituale. Nele Glöer liest ihrem Mann nun Bücher vor, sie verreisen gemeinsam und tauschen sich zu gesellschaftlichen Fragen aus.

Ehrlichkeit als tragende Säule

Ihre Beziehung wird von einer tief empfundenen Ehrlichkeit getragen. „Ich kann ihm alles sagen – auch Ängste und Sorgen. Alle Gefühle dürfen in diesem Haus geäußert werden.“ Der Austausch funktioniert – auch ohne Sprache. Besonders bewundert Nele Glöer, dass ihr Mann nicht klagt und sie trotz seiner Erkrankung unterstützt und tröstet. „Wir haben großen Respekt davor, wie wir gemeinsam mit unserem Schicksal umgehen. Und wenn ich ihn anschaue – dann liebe ich ihn einfach.“

Beziehung verändert sich

„Dass Paare so verständnisvoll miteinander umgehen, ist keine Selbstverständlichkeit“, sagt Maren Birke, psychologische Beraterin bei dem Verein „Hamburgische Brücke“. Wird ein Partner oder eine Partnerin pflegebedürftig, verändert sich der Mensch und damit auch die Beziehung. „Häufig erleben Paare in dieser Situation Gefühle wie Verzweiflung, Wut und Trauer“, ergänzt Birke. Die Verzweiflung kann viele Ursachen haben. Etwa das Gefühl, mit den eigenen Sorgen und Themen nicht mehr durchzudringen. Oder den Verlust von Nähe und einer starken Schulter zum Anlehnen, die es nicht mehr gibt. „Plötzlich ist da jemand, der mir früher Halt gab – aber jetzt gar nicht mehr mitbekommt, wie es mir selbst geht“, beschreibt die Psychologin typische Rückmeldungen von Angehörigen. 

Gefühle annehmen

Und da ist die stille Trauer – über das, was Tag für Tag verschwindet. „In der Psychologie sprechen wir von ‚ambiguous loss‘ – einem uneindeutigen Verlust“, so Birke. Der Mensch ist körperlich noch da, verändert sich aber emotional und geistig. Außenstehende verstehen diese Trauer oft nicht – dabei ist sie sehr real. Solche Gefühle sind kein Zeichen von Schwäche, sondern Ausdruck einer enormen Belastung. „Wichtig ist, sie anzunehmen, statt sie zu unterdrücken – denn sonst suchen sie sich ihren Weg.“ Ein geschützter und wertfreier Raum, in dem alles gesagt werden darf, hilft vielen Menschen schon sehr. Das Aussprechen entlastet und kann zu einer anderen Form von Verbundenheit führen.


„Intimität und Nähe neu leben“

Dr. Klaus Pfeiffer ist Diplom-Psychologe in der Abteilung für Geriatrie am Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart.

Was kann man tun, wenn emotionale Nähe schwindet oder der Umgang schwieriger wird?

Dr. Klaus Pfeiffer: Oft steckt hinter gereiztem Verhalten oder innerer Distanz eine Überforderung. Hier hilft es, offen miteinander über Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen. Auch die Organisation der Pflege kann so angepasst werden, dass Raum für gemeinsame schöne Momente bleibt – sei es ein gemeinsamer Spaziergang, ein vertrautes Ritual oder einfach Zeit zu zweit ohne Pflegekontext. Selbst kleine Pausen und Zeiten zum Auftanken für den pflegenden Partner machen einen großen Unterschied.

 

Welche Rolle spielt Kommunikation, wenn das Sprechen schwerfällt?

Auch wenn Sprache eingeschränkt ist – etwa durch eine demenzielle Erkrankung – bleibt Kommunikation zentral. Blickkontakt, Berührung oder ein Lächeln können viel Nähe und Sicherheit vermitteln. Für pflegende Angehörige ist es hilfreich, sich bewusst zu machen, dass der andere auch ohne Worte angesprochen, gesehen und wertgeschätzt werden möchte. Mit Geduld und Achtsamkeit kann so trotz Einschränkungen Verbindung erhalten bleiben.

 

Wie lässt sich Intimität in einer Pflegesituation neu definieren?

Partnerschaft bedeutet mehr als Sexualität. Zärtlichkeit, liebevolle Gesten und bewusst geteilte Zeit können neue Formen von Intimität schaffen. Wichtig sind dabei offene Gespräche über Wünsche und Bedürfnisse. Kreative Lösungen und eine Portion Humor helfen, mit Veränderungen gelassener umzugehen. Wer gut für sich selbst sorgt, bleibt auch in der Beziehung stärker präsent.

 

Was hilft, wenn Angehörige um die frühere Beziehung trauern?

Trauer ist ein natürlicher Bestandteil der Veränderung. Vielen hilft es, Erinnerungen bewusst Raum zu geben – durch Musik, Fotos oder das Aufschreiben von Gedanken. Auch Gespräche mit anderen Betroffenen, etwa in Angehörigengruppen, können tröstlich und stärkend wirken. Wichtig ist, die eigene Trauer anzunehmen, ohne sich dafür zu verurteilen.

 

Wann sollte man sich Unterstützung holen – und warum ist das sinnvoll?

Sich Hilfe zu holen, ist ein Zeichen von Selbstfürsorge. Pflegeberatung, Selbsthilfegruppen oder psychologische Begleitung können entlasten und neue Perspektiven eröffnen – oft bevor es zur völligen Erschöpfung kommt. Wer gut begleitet wird, bleibt nicht nur leistungsfähiger, sondern kann die Beziehung auch unter veränderten Bedingungen lebendig erhalten.
 

Text und Interview von Stella Cornelius-Koch, Journalistin, Bremen.

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