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Das gibt mir Kraft

Wer einen Angehörigen pflegt, stellt oft die eigenen Bedürfnisse zurück. Zeit für ein Hobby scheint für viele undenkbar. Doch gerade diese Auszeiten sind wichtig, um der Belastung standzuhalten und selbst gesund zu bleiben. Drei pflegende Angehörige berichten, woraus sie in ihrem fordernden Alltag Kraft schöpfen.

Beim Reiten neue Energie tanken

Wenn Sonja Walser (52) den Pferdestall betritt, spürt sie sofort, wie der Stress von ihr abfällt. Ihr Schimmelwallach Levante wartet schon auf sie. Das Tier ist ein verlässlicher Ruhepol in ihrem fordernden Alltag. Denn zu Hause dreht sich alles um die Pflege ihrer Tochter Katharina. Die heute Zehnjährige ist von Geburt an mehrfach schwerstbehindert.

Zeit für ein eigenes Hobby? Lange hielt Sonja Walser das für unmöglich. Doch nach jahrelangem Bemühen unterstützt sie inzwischen ein
professionelles Intensivpflegeteam bei der Pflege. „Damit habe ich großes Glück gehabt“, sagt Sonja Walser. Das Pflegeteam verschafft ihr Freiräume. Sie kann zum Reiten gehen, das für sie ein unschätzbar wichtiger Ausgleich ist.

Zeit für ein eigenes Hobby? Lange hielt Sonja Walser das für unmöglich. Doch nach jahrelangem Bemühen unterstützt sie inzwischen ein professionelles Intensivpflegeteam bei der Pflege. „Damit habe ich großes Glück gehabt“, sagt Sonja Walser. Das Pflegeteam verschafft ihr Freiräume. Sie kann zum Reiten gehen, das für sie ein unschätzbar wichtiger Ausgleich ist.

„Beim Reiten tauche ich aus meiner Rolle als pflegende Angehörige in eine ganz andere Welt ein.“

Nach der Geburt ihrer Tochter musste die Sozialpädagogin zunächst lernen, ihre Situation als solche anzunehmen. Sie hatte in dieser langen Lebensphase große
Zweifel, ob sie das Reiten, ein sehr zeitintensives Hobby, überhaupt mit der Pflege ihrer Tochter würde vereinbaren können. Die Oberbayerin überlegte sogar, ihren Schimmelwallach zu verkaufen. Doch schon der Gedanke überforderte sie. Levante blieb. „Zum Glück“, sagt Sonja Walser heute, wo ihr Hobby endlich zu ihren Ressourcen und zeitlichen Möglichkeiten passt. Sie hat eine Trainerin gefunden und feste Zeitfenster für den Stall organisiert, in dem sie an drei bis vier Tagen pro Woche anzutreffen ist.

„Beim Reiten tauche ich aus meiner Rolle als pflegende Angehörige in eine ganz andere Welt ein.“ Ihr Pferd fordert volle Aufmerksamkeit – ein Fokus, der ihr hilft, Abstand vom Pflegealltag zu gewinnen. „Wenn ich Zeit mit Levante verbringe, kann ich mit einer ganz anderen Energie nach Hause kommen.“

Wiebke Worm wandelt die Herausforderungen der Pflege ihres an MS erkrankten Mannes in kreative Kraft um – mit Schreiben, Malen und einem eigenen Blog macht sie auf das Thema Pflege aufmerksam und findet darin selbst neue Stärke.

Dagmar Kreuzinger engagiert sich ehrenamtlich in der Demenzbegleitung – eine erfüllende Aufgabe, die ihr neue Perspektiven schenkt und ihr hilft, mit den Herausforderungen der eigenen Pflegesituation gelassener umzugehen.

Anderen pflegenden Angehörigen helfen

Dagmar Kreuzinger ist eine pflegende Angehörige, die anderen pflegenden Angehörigen hilft.

Für die 70-Jährige ist das Thema Pflege schon lange ein Teil ihres Lebens. Ihr Mann ist seit 1990 krank, leidet an COPD, Herzinsuffizienz und einem schubweise auftretenden Tremor in den Händen. Aufgrund dieses Krankheitsbildes ist Dagmar Kreuzinger stark an das Haus gebunden, denn sollte ihr Mann einen Anfall haben, kann er aufgrund der Luftnot nicht selber telefonieren. 

Und doch hat sie Zeit für ein Ehrenamt: Seit 2014 besucht die Frau aus Oberfranken regelmäßig Familien mit demenzkranken Angehörigen. „Ich spiele mit den Erkrankten Karten, Brett- oder Ratespiele – damit die Angehörigen mal eine kleine Auszeit haben, in Ruhe einkaufen gehen oder sich in ein Café setzen können.“

Frühes Interesse am Thema „Demenz“

Dagmar Kreuzinger hatte sich früh für das Thema Demenz interessiert und Schulungen bei der Rummelsberger Diakonie besucht. Diese Einrichtung setzt sich unter anderem für eine würdevolle Begleitung von demenzkranken Menschen und für deren Angehörige ein. Als sie gefragt wurde, ob sie sich vorstellen könne, ehrenamtlich häusliche Besuchsdienste zu übernehmen, sagte Dagmar Kreuzinger sofort zu. Diese Tätigkeit ist inzwischen zu einem wertvollen Hobby geworden, gibt ihr Pausen vom eigenen Pflegealltag (ihr Mann wird während ihrer Einsätze von Verwandten betreut) und oft auch eine neue Perspektive. Etwa wenn sie erlebt, wie andere pflegende Angehörige an ihre Grenzen stoßen und sich zurückziehen. Das führt ihr vor Augen, wie gut es ihr trotz aller Herausforderungen geht. „Mein Mann kann viele Dinge nicht mehr selbst erledigen, was ihn oft unleidlich macht. Früher hat mich das schnell auf die Palme gebracht. Jetzt verstehe ich besser: Er kann ja nicht anders. Ich sehe vieles gelassener und reagiere ruhiger.“ 

Schreiben, Zeichnen und Malen geben Kraft

Wiebke Worm pflegt seit 18 Jahren ihren an Multipler Sklerose erkrankten Mann – inzwischen rund um die Uhr. In der ersten Zeit arbeitete Worm noch als Crewmanagerin in einer Reederei; sie versuchte lange, Beruf und Pflege miteinander zu vereinen. Doch irgendwann ging es nicht mehr. Die Belastung wurde zu groß, sie selbst wurde krank.

„Man kann dabei sehr traurig werden“, sagt die Hamburgerin offen. Doch sie wollte sich nicht in diese Traurigkeit verlieren. Stattdessen stellte sie sich eine entscheidende Frage: Was kannst du noch? Die Antwort fand sie in ihrer Kreativität, der sie mit Schreiben, Zeichnen, Malen und Fotografieren Ausdruck verleiht. Wiebke Worm wandelt die Herausforderungen der Pflege ihres an MS erkrankten Mannes in kreative Kraft um – mit Schreiben, Malen und einem eigenen Blog macht sie auf das Thema Pflege aufmerksam und findet darin selbst neue Stärke. Dagmar Kreuzinger engagiert sich ehrenamtlich in der Demenzbegleitung – eine erfüllende Aufgabe, die ihr neue Perspektiven schenkt und ihr hilft, mit den Herausforderungen der eigenen Pflegesituation gelassener umzugehen.

Daraus schöpft sie bis heute viel Kraft. „Ich habe festgestellt, dass ich sehr gerne schreibe und dass meine Worte und Bilder Menschen berühren“, freut sich die vielseitig interessierte Hanseatin. Wiebke Worm hat inzwischen einige Kinderbücher geschrieben und darüber hinaus zusammen mit anderen pflegenden Angehörigen Anthologien veröffentlicht, die auf das Thema Pflege aufmerksam machen. Pflegethemen prägen ihr kreatives Schaffen, etwa in ihrem Blog „Wir pflegen unsere Lieben“ oder in den Videos, die sie auf YouTube hochlädt. „Das ist etwas, was mir immer wieder Kraft gibt“, sagt die 60-Jährige. Worm versucht, sich jeden Tag in einem eigens dafür hergerichteten Raum die Zeit zum Malen zu nehmen und zugleich in Rufnähe ihres Mannes zu sein.


„Nur wer auftankt, kann geben“

Prof. Dr. Alexandra Wuttke ist psychologische Psychotherapeutin an der Universität Konstanz.

Warum sind Hobbys gerade für pflegende Angehörige so wichtig?
Alexandra Wuttke: Pflegende Angehörige sind häufig chronisch gestresst und vernachlässigen ihre eigene körperliche und psychische Gesundheit. Dabei werden vielfach Hobbys aufgehört und soziale Kontakte vernachlässigt, so dass schnell der Ausgleich zu dem stressigen Alltag fehlt. Doch chronischer Stress erhöht die Gefahr für gesundheitliche Folgen. Hier ist es wichtig entgegenzuwirken! Dies kann in Form von Hobbys oder auch allgemein positiven Aktivitäten geschehen.

Welche positiven Effekte haben Hobbys auf die mentale Gesundheit und das Wohlbefinden?

Positive Aktivitäten sind zentraler Teil der Selbstfürsorge. Sie stellen den Ausgleich zu den Lasten und Pflichten des Alltags dar und sind notwendig, um psychisch gesund zu bleiben. Durch positive Aktivitäten kann der Teufelskreis aus Rückzug, negativer Stimmung und negativen Gedanken durchbrochen werden. Es fördert zudem die Selbstwirksamkeit, wenn man bewusst etwas Angenehmes für sich plant und tut.

Wie kann es im anstrengenden Pflegealltag gelingen, sich bewusst Freiräume für Hobbys zu schaffen?

Den Satz ‚Es geht ja noch‘ höre ich häufig, wenn es darum geht, sich Zeit für sich zu nehmen. Ich nutze dann gerne die Flugzeug-Metapher und frage die Angehörigen, wem man im Flugzeug im Falle eines Sauerstoffabfalls die Maske zuerst aufsetzen soll. Hilfsbedürftigen Menschen oder sich selbst? Die große Mehrheit der pflegenden Angehörigen würde zunächst der pflegebedürftigen Person helfen. Dann frage ich: Und was ist dann mit Ihnen? Diese Frage löst häufig einen Denkprozess aus, der verdeutlicht, dass man nur für andere gut da sein kann, wenn man auch auf sich gut achtet.

Was raten Sie Menschen, die das Gefühl haben, keine Energie mehr für ein Hobby zu haben?

Mit kleinen Schritten anfangen. Häufig ist die Hürde zu groß, sich gleich fest für ein Hobby zu verpflichten, vor allem, wenn es außerhalb der eigenen Häuslichkeit stattfindet. Man kann zunächst mit positiven Aktivitäten in der Häuslichkeit starten (z. B. Lesen, Handarbeit). Dann kann man soziale Kontakte aktivieren und Freunde mit einplanen (z.B. mit einem Spaziergang, Telefonat), bevor man vielleicht zusammen wieder in den Chor geht. Wichtig ist, soziale Unterstützung anzunehmen.

 

Das Interview führte Stella Cornelius-Koch.

Foto (Titelbild): Lubo Ivanko / shutterstock.com

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